Jusos Braunschweig empfehlen den Koalitionsvertrag abzulehnen

Zum Abschluss des Koalitionsvertrags zwischen CDU, CSU und SPD erklären die Jusos Braunschweig: „Der vorliegende Koalitionsvertrag besitzt in seinen zentralen Kernanliegen kaum bis gar keine sozialdemokratische Positionen, die wir als Jusos und als SPD im Wahlkampf vertreten haben. Daher empfehlen wir eine Ablehnung des Vertrags.“

Die Jusos erläutern ihre Beweggründe hinsichtlich vieler zentralen Wahlkampfversprechen der SPD, die sich im neuen Koalitionsvertrag nun nicht widerspiegeln. Sie gehen fest davon aus, dass im Falle einer Zustimmung der SPD-Mitglieder zum Koalitionsvertrag, sich die tiefe Glaubwürdigkeitskrise der SPD auf Jahre fortsetzen wird. Dabei äußert sich die SPD-Jugend zu neun der wesentlichsten Forderungen aus dem SPD-Wahlprogramm:

Thema Mindestlohn
Grundsätzlich begrüßen wir den Erfolg, dass ein flächendeckender, branchenabhängiger Mindestlohn von 8,50 EUR beschlossen wurde. Wenn man jedoch genauer in den Koalitionsvertrag schaut, finden sich eklatante Sonderregelungen bis zum Jahr 2017, die Unternehmen Möglichkeiten einräumen, diesen Mindestlohn zu umgehen. Damit wird vielen Beschäftigten nicht geholfen, die unsere Hilfe am dringendsten benötigen. Ein Mindestlohn, der hauptsächlich erst 2017 greift, müsste daher auch deutlich höher angesetzt werden.

Thema Gesundheit
Wir standen als SPD in den vergangenen vier Jahren für das Ende der Zwei-Klassen-Medizin, gegen das Einfrieren der Arbeitgeberbeiträge und für die Einführung einer BürgerInnenversicherung ein. Nichts davon wurde in den Verhandlungen realisiert. Zwar war schon vor den Koalitionsverhandlungen klar, dass mit der Union keine BürgerInnenversicherung umzusetzen ist, jedoch haben wir Jusos zumindest erwartet, dass wir wieder zu einer vollparitätische Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung von Arbeitgebern und Arbeitnehmern kommen. Allerdings ist auch das nicht erfolgt – ganz im Gegenteil: Die Beiträge von der Arbeitgeberseite bleiben weiterhin eingefroren, ArbeitnehmerInnen müssen zukünftig weiterhin mindestens 0,9% ihres Bruttoeinkommens mehr zahlen.

Thema Gleichstellung
Es sind keine verbindlichen Regelungen zur Homo-Ehe bezüglich Steuer- und Adoptivrecht getroffen worden. Der Rückschritt in Sachen Gleichstellung zwischen Mann und Frau beim Thema Betreuungsgeld soll nun von der SPD mitgetragen werden, da das Betreuungsgeld komplett ausgeklammert wurde. Eine SPD-beteiligte Regierung darf nicht hinter zentralsten gleichstellungspolitischen Positionen zurückfallen.

Thema Toleranz & Vielfalt
Auch hier muss man sich die Details anschauen: Wir haben unser Ziel, die Mehrstaatlichkeit grundsätzlich anzuerkennen, nicht erreicht. Nur wer in Deutschland geboren und aufgewachsen ist, wird von dem unsinnigen Optionszwang befreit. Es gibt außerdem null Fortschritt für die Ausweitung des Kommunalwahlrechts für alle EinwohnerInnen jenseits von Nationalität und Herkunft. Weiterhin gelten rassistische Einschränkungen, wenn es um Wahlen geht, gemäß des Slogans "Nur wer Deutscher ist, darf wählen". Dass sich solche rassistische Strukturen weiterhin konservieren, darf die Sozialdemokratie nicht zulassen.

Thema Steuergerechtigkeit
Die Einkommens- und Vermögensschere zwischen arm und reich geht seit über zehn Jahren immer weiter auseinander. Dafür haben wir im Wahlkampf drei wesentliche Forderungen gestellt wie ein vorsorgender Sozialstaat reichere stärker belasten und ärmere und mittlere Einkommen entlasten soll. Weder die Erhöhung des Spitzensteuersatzes, die Einführung der Vermögenssteuer noch die Erhöhung der Abgeltungssteuer ist im Koalitionsvertrag zu finden. Gleichzeitig werden geringe und mittlere Einkommen zur Finanzierung des Pflege- und Gesundheitswesens stärker belastet.

Thema Asyl- und Flüchtlingspolitik
Die Abschottungspolitik der EU gegenüber Flüchtlingen setzt sich im Koalitionsvertrag fort. Die Drittstaatenregelung (Dublin II) soll offenbar nicht verändert werden. Immerhin gibt es leichte Fortschritte in der Residenzpflicht und in der Arbeitserlaubnis von Flüchtlingen. Mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein ist das aber nicht, die Abschiebepraxis an Flughäfen ist weiterhin möglich. Eine Kehrtwende hin zur Menschlichkeit sieht anders aus.

Thema Re-Regulierung des Arbeitsmarkts
Auch hier gibt es nichts bahnbrechendes: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit soll in der Leiharbeit gelten – aber erst für LeiharbeitnehmerInnen ab dem zehnten Beschäftigungsmonat. Begrüßenswert ist die Eindämmung des Missbrauchs von Werkverträgen und die Begrenzung der Arbeitnehmerüberlassungsdauer auf 18 Monate. Allerdings gab es auch in der Union vor dem Wahlkampf zahlreiche Stimmen für diese Regulierungen, die Befristung der Leiharbeit hätte auch deutlich niedriger ausfallen können. Leider gibt es keine Fortschritte für die Situation der Minijobber. Auch die sachgrundlose Befristung wird nicht abgeschafft. Insgesamt kann man also nicht von einer ernst gemeinten Re-Regulierung des Arbeitsmarktes sprechen.

Thema Bildung und Ausbildung
Für junge Menschen wurde gar nichts erreicht: Das Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern in der Bildungspolitik gilt weiterhin. Eine Mindestausbildungsvergütung wird es mit der Union auch nicht geben, genauso wenig wie eine Ausweitung des BAföGs. Der rechtlich unverbindliche Ausbildungspakt soll wohl in einem noch unverbindlicheren Aus- und Weiterbildungspakt "weiterentwickelt" werden. Schade, dass sich die Koalitionäre nicht um die Verbesserung der Situation für junge Menschen gekümmert haben.

Thema Europa
Der wohl schlimmste inhaltliche Beschluss: Dem Merkel-Diktat, der Spar-Politik von krisengeschütteten Ländern, sollen nun auch SozialdemokratInnen folgen. Dies steht fundamental im Gegensatz zu unseren Europa-politischen Postionen. Diese EU-Staaten brauchen dringend Konjunkturprogramme, die staatlich finanziert werden müssen. Viele Menschen in Europa hoffen auf einen Kurswechsel zur Krisenbewältigung und verlassen sich auf die SPD. Sie werden enttäuscht sein, das negative Bild von Deutschland in anderen Ländern wird sich ausweiten, wenn dem Koalitionsvertrag zugestimmt wird. Noch schlimmer: Wenn die Krisen-Länder ihre „strikte, nachhaltige Haushaltskonsolidierung“ mit „Strukturreformen für mehr Wettbewerbsfähigkeit“ nach Vorbild der deutschen Hartz-Reformen umgesetzt haben, kann man davon ausgehen, dass eine zukünftige Bundesregierung in zehn Jahren wieder starke Einschnitte in die Sozialsicherungssysteme vornehmen wird. Wir befinden uns damit in einer gesamteuropäischen Abwärtsspirale der Sozialleistungen.

Fazit
Auch wenn der Koalitionsvertrag andere gute Ansätze wie die Einführung der Frauenquote, der Mietpreisbremse oder neue Investitionen in die Infrastruktur beinhaltet, steht für uns Jusos fest: Ein Politikwechsel ist mit der Union nicht möglich. Deshalb können wir dem Koalitionsvertrag nicht zustimmen. Wir betonen, dass dieser Beschluss kein Misstrauensvotum gegen die SPD-Verhandlungsgruppe, den Parteivorstand oder den Parteivorsitzenden ist. Mehr war mit der Union nicht zu erreichen. Gleichzeitig sagen wir Jusos: Wir werden als JungsozialistInnen das Mitgliedervotum akzeptieren – unabhängig davon wie es ausfällt. Wird der Vertrag abgesegnet, werden wir dafür kämpfen, dass die Interessen der Menschen im Regierungshandeln berücksichtigt werden, die unsere Unterstützung benötigen. Kommt es zu einer Ablehnung und möglicherweise zu Neuwahlen, so werden wir wie immer an vorderster Front für einen Politikwechsel um jede Stimme kämpfen. In jedem Fall werden wir uns weiterhin in der SPD und mit der SPD für eine solidarische und gerechte Gesellschaft einsetzen.